Eine ritterliche Erfindung

Es war einmal ein Ritter, der den Namen Gundolf IV. trug. Er war ein guter Ritter. Sein Gemüt war, solange man ihn nicht reizte, sehr ausgeglichen. Jahrelang diente er dem Kaiser im Krieg. Als er alt wurde, erhielt er für seine treuen Dienste die Herrschaft über einen kleinen Landstrich jenseits von Irgendwo. Im Mittelpunkt dieses Gebietes lag ein kleiner Berg. Darauf stand seine Burg. Die Burg war ein Prachtstück. Die Zinnen und Türme ragten weit in den Himmel hinaus.

Eines Tages ging Gundolf IV. in das Dorf, das am Fuße des Berges lag, um sich bei seinen Untertanen zu erkundigen, ob es ihnen gut ginge und sie zufrieden seien. Die Dorfbewohner empfingen ihn mit einem rauschenden Fest, denn sie mochten ihn sehr gern. Er war nie zu streng mit ihnen oder gar grausam. Er war ein Herrscher, wie man ihn nur einmal unter eintausend findet. Denn er hatte ein Herz.

Als er nun wieder nach Hause in seine Burg gehen wollte, stellte er fest, wie steil der Berg war, auf dem sie lag. Außerdem waren seine Knochen schon alt und müde. Erst spät abends kam er oben an, es war bereits dunkel.

Nein!, dachte er sich. So kann das nicht gehen! Meine armen Diener müssen diesen schweren Weg jeden Tag laufen. Und falls ich wieder einmal hinunter will, würde ich auch gerne wieder heil ankommen. Da muss ich mit etwas überlegen!

Er überlegte. Und überlegte. Es fielen ihm auch einige Lösungen ein. Eine davon war, dass man einfach die ganzen Felder und Tiere, die man benötigte, um die Menschen in seiner Burg mit Essen zu versorgen, oben auf der Burg ansiedeln sollte, damit die Diener nicht mehr hinunterlaufen und es bei den Bauern kaufen mussten. Doch dafür war nicht genügend Platz auf dem Berg. Er überlegte wieder. Vielleicht konnte man ja für jeden ein Pferd kaufen, damit man immer hinunterreiten konnte. Doch das ging auch nicht. Dazu fehlte das Geld, weil Gundolf nicht wollte, dass die Bauern in den Dörfern zu viele Steuern bezahlen mussten. Die sollten schließlich auch etwas zum Leben haben. Zwar hatte Gundolf sein Pferd noch, auf dem er früher im Krieg geritten war. Doch es war alt und hatte genauso müde Knochen wie Gundolf selbst. Aber was sollte er machen?

In dieser Nacht schlief er sehr schlecht. Die Sorge um dieses große Problem verfolgte ihn bis in den Schlaf. Am nächsten Morgen krähte der Hahn besonders laut. Doch das hatte bei Gundolf keinen Sinn. Er drehte sich einfach auf die andere Seite und schlief weiter. Als seine Kammerfrau kam, um das Bett zu machen, staunte sie nicht schlecht, als sie darin noch einen schlafenden Ritter vorfand. Sie schüttelte ihn so lange, bis er endlich die Augen aufschlug. Dann kämpfte er sich aus dem Bett, kleidete sich schnell an und ging in den großen Saal, der das Prunkstück der Burg war. Dort setzte er sich auf einen Schemel und trank eine Kelle Ziegenmilch. Die gebratene Taube in Bierteig, die der Koch so liebevoll zubereitet hatte, rührte er nicht an.

Nach dem Frühstück, das beinahe schon ein Spätstück geworden war, ging er hinaus auf den Burghof, um seine Müdigkeit mit frischer Luft zu verscheuchen. Auf dem Burghof war reges Treiben. Ein Schmied hämmerte in höchsten Tönen, Kinder spielten „Ritter wechsle dich“, Frauen molken die Kühe und Ziegen, ein Schneider nähte Kleider, Tiere wurden herumgezerrt, gackerten, fiepten, krähten, muhten, quiekten,…

Auf einmal bekam Gundolf einen Stoß in den Rücken. Er stolperte und wäre beinahe in den Zuber gefallen, in dem eine Frau Wäsche wusch. Er drehte sich um. Da standen zwei junge Männer und sahen verlegen auf ihre Zehenspitzen. Sie hielten einen riesigen Korb mit schönen, roten Äpfeln in ihrer Mitte.
„Es tut uns leid, Eure Hoheit!“, stammelte der eine.
„Wir konnten nichts sehen wegen des großen Korbes“, erklärte der andere.
Gundolf lächelte die beiden an und sagte: „Macht nichts! Passt das nächste Mal besser…“ – Doch da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich! Das war die Lösung!

Schnell drehte er sich um und ließ die verdutzten Männer stehen. Er rannte geradewegs zu seinem Korbflechter. Er sagte, dass er einen riesigen Korb benötige, in den mindestens ein Mann hineinpasse.

Zwei Tage später war der Korb fertig. Der gute Mann hatte fast die ganze Zeit ununterbrochen daran gearbeitet. Doch das Ergebnis konnte sich wahrlich sehen lassen. Ein gigantischer Korb, der dazu auch noch sehr stabil war. Der Korb wurde an vier langen Seilen befestigt. Dann lief Gundolf den Berg hinunter. Der Korb war auch schon unten. Er stellte sich hinein und lies sich von starken Männern nach oben ziehen. Alles ging gut. Die Leute, die natürlich zugesehen hatten, applaudierten laut. Sie waren stolz auf ihren Herren. Seitdem war die Fortbewegung in hügeligen Landschaften viel leichter.

Der Ritter Gundolf IV. lebt schon lange nicht mehr. Aber seine Erfindung lebt weiter. Die Technik wurde verfeinert, heute ziehen Maschinen statt starken Männern. Doch das Prinzip ist das selbe. Ritter Gundolf IV. hatte den Aufzug erfunden.