Sieben Uhr – Abenteuer im Nebel

Es wurde Nacht im kleinen Städtchen Hasenweiler. Langsam krochen die Nebelschwaden durch die schmalen Straßen. Am Tag war es noch heiß gewesen, doch sobald es dunkel wurde, streckte schon der Herbst seine frösteligen Finger aus. Die große Kirchturmuhr schlug siebenmal und in den Häusern nahmen die Familien an den großen Tischen Platz, um zu Abend zu essen und sich gegenseitig von ihrem Tag zu berichten.

Hätte jemand aus dem Fenster gesehen, hätte er sich vermutlich über das eigenartige Schauspiel gewundert, das sich draußen abspielte. Vielleicht wäre er auch nach draußen gegangen, um nach dem Rechten zu sehen. So allerdings bahnte sich von niemandem bemerkt ein kleiner Tross seinen Weg durch den dichter werdenden Nebel. Vorn lief ein lang gewachsener junger Hund, eine schwach leuchtende Taschenlampe in der Hand, mit der er mit zunehmender Unruhe die Straßenschilder anleuchtete. Hinter ihm trippelte ein Mäusemädchen, das bibbernd ein Strickjäckchen um sich geschlungen hatte. Dahinter trottete offensichtlich lustlos ein Kater, der einen Bollerwagen mit Gepäck zog. Den Abschluss machten ein Bär und ein Maulwurf, der sich an der Hand des Bären festhielt und sich von ihm führen lies. Die eigenartige Karawane war eine Jugendgruppe, die einen Ausflug nach Hasenweiler machte und hier nun eigentlich übernachten wollte. Wenn in dem Nebel nur der Weg nicht so schwer zu finden wäre…

„Sind wir endlich da?“, piepste das Mäuschen Mia und klapperte mit den Zähnen.
„Nein, weil wir uns nämlich verlaufen haben“, knurrte Kater Caspar genervt.
„Immer mit der Ruhe“, versuchte Hund Linus seine eigene Unruhe zu überspielen. „Die Herberge muss ganz in der Nähe sein.“

Eigentlich wäre die Gruppe gar nicht so spät unterwegs gewesen. Sie hatten geplant, mittags in Hasenweiler anzukommen. Doch es war wie verhext. Als sie gerade mit dem Bus in ihrer Heimatstadt Waldhausen losgefahren waren, fiel Mia auf, dass sie ihr Gepäck an der Bushaltestelle hatte stehen lassen. Also fuhren sie mit dem nächsten Bus zurück, um das Gepäck zu holen. Das hatte allerdings inzwischen ein Ziegenvater mit seinem Kind gefunden und zum Fundamt gebracht. Dort angekommen hatten sie allerlei Fragen beantworten und Formulare ausfüllen müssen, sodass sie fast den letzten Bus nach Hasenweiler verpasst hätten.

„Da ist es!“, rief Linus aufgeregt, und deutete mit dem Lichtkegel der Taschenlampe auf das Schild der Herberge, das sie gerade noch so durch den Neben erkennen konnten. Erleichtert stürmte die Jugendgruppe auf die schwere braune Holztür zu, die sie von ihren warmen Herbergsbetten trennte.

Kater Caspar, der mit einem Mal seine Lebensgeister wiederentdeckt hatte, sprintete vor und erreichte als erster die Tür. Mit beiden Vorderpfoten trommelte er auf sie ein, doch die Tür blieb verschlossen.

Benedikt, der Bär, schüttelte milde den Kopf, als er zusammen mit Maulwurf Martin an der Tür ankam, und brummte: „Du weißt schon, dass es eine Klingel gibt?“

Doch selbst das Klingeln brachte die Tür nicht dazu, sich zu öffnen. Ratlos standen Freunde vor der Tür.

„Mir ist kalt!“, bibberte das Mäuschen Mia.

„Ich will meine Milch!“, jammerte Kater Caspar.

Hund Linus sah sich um. Hier war alles dunkel, doch aus dem Garten konnte er einen leichten Lichtschein erkennen. „Lasst uns mal dort hinten schauen“, schlug er vor.

Vorsichtig, um im Licht der Taschenlampe nicht vom Weg abzukommen, tapsten sie um das Haus. Im Garten erkannten sie, dass das Licht von einem Fenster stammte, das jedoch weit über ihnen lag.

„Heb mich mal hoch“, piepste Mia und kletterte auf Benedikts Rücken.

„Siehst du was?“, fragte Maulwurf Martin, während er die Augen zusammenkniff und seine dicke Brille dichter an seine Augen schob. Doch selbst auf den Schultern des großen Bären konnte sie nicht in das Fenster spähen, so sehr sie sich auch reckte.

„Leider nicht“, antwortete Mia enttäuscht.

„Ich will ins Bett!“, jammerte Kater Caspar.

„Wir müssen zusammenhelfen“, sagte da Linus bestimmt. „Mia, komm wieder herunter. Benedikt, ich klettere jetzt auf deine Schultern. Caspar, dann kommst du. Und zum Schluss klettert Mia hinauf. Passt nur auf, dass wir nicht herunterfallen.“

Alle taten, was der kluge Hund vorgeschlagen hatte. Martin stand inzwischen unten und putzte seine Brillengläser. „Ihr seht aus wie die Bremer Stadtmusikanten“, gluckste er, als Mia oben auf dem wackeligen Turm angekommen war.

Nun konnte das Mäuschen in das Fenster sehen und rief: „Das ist ein Kaminfeuer! Oh, sieht das schön warm aus!“

„Mir ist kalt!“, jammerte Kater Caspar.

Bär Benedikt war wohl auch langsam kalt, denn plötzlich zitterte er kurz, holte tief Luft – und musste so stark niesen, dass er – plumps – mit seinem gepolsterten Bären-Hinterteil im nachtschwarzen Gras landete. Über ihm gab es ein wildes Gepurzel. Linus flog ihm direkt in den Schoß, Kater Caspar maunzte laut, versuchte, sich mit den Krallen an der Hauswand festzuhalten, und landete dann doch wie alle Katzen auf allen Vieren auf dem Boden. Nur Mäuschen Mia hing noch am Fensterbrett.

„Hilfe!“, rief sie mit ihrer hellen Stimme.

Sie griff nach vorn – und das Fenster bewegte sich ein Stück. Wohlig warme Luft und der heimelige Geruch von brennendem Kaminholz kam ihr entgegen. Mit letzter Kraft zog sie sich auf den Sims und konnte ins Haus schlüpfen. Unten jubelten ihre Freunde.

„Was ist passiert?“, fragte Martin, der seine Brille noch nicht wieder aufgesetzt hatte.

Da rief es vom Weg her: „Kommt herein, die Tür ist offen!“

Die Freunde stürmten zur Tür und umarmten das kleine, mutige Mäuschen stürmisch. Wenig später saßen sie gemütlich mit heißem Tee und warmer Milch am Kaminfeuer und wärmten sich auf. Nur eines war seltsam: Die Herbergsmutter war nirgends zu finden. Dabei hatten sie sich doch angemeldet. Wo war sie nur? Das erfahren wir bestimmt in einer der nächsten Geschichten aus Hasenweiler.